Am frühen Morgen des 1. April 2020, der erste Lockdown war gerade erst in Kraft getreten, wurde ein Mann von einem lauten Rumpeln geweckt. Erbost über die nächtliche Störung zog er sich schnell etwas über und lief mit großen Schritten zum Nachbarhaus, wo er die Ursache des Lärms vermutete. Zwei junge Männer waren gerade dabei, einen schweren Metallschrank aus einem Anhänger zu laden. Sie erklärten ihm, sie seien die neuen Mieter, und wären gerade mit dem Umzug beschäftigt. Für weitere Ausführungen, zum Beispiel warum sie das um 2:30 am Morgen machten, war keine Zeit mehr. Der Mann wollte weiter schlafen und konnte um diese Uhrzeit wenig Verständnis für die beiden aufbringen, er machte auf der Stelle kehrt und verschwand wieder in der Dunkelheit.
Eines unserer ersten Bauprojekte am neuen Haus. Es wurde erst nach Sonnenuntergang fertig, im Schallschutz der Kirchenglocken wurden die letzten Überstände abgesägt.
Drehen wir die Zeit um zwei Jahre zurück. Meine Frau Marianne und ich lagen wach im Bett, es war einfach zu viel Unglaubliches passiert, als das wir hätten schlafen können. Wir erwarteten unsere erstes Kind und wenn man die Hände auf den Bauch legte, konnte man die ersten Bewegungen spüren. Wir hatten ein Auto gekauft, und doch keinen Cent bezahlt, weil man uns das Geld geschenkt hatte. Außerdem zeichnete sich ab, das unser Traum wahr werden würden: Gemeinsam mit anderen würden wir in ein großes Haus ziehen! Die ganze Situation war einfach zu schön, um wahr zu sein.
Wir hatten nach Häusern gesucht und sogar schon eines angesehen, doch es stellte sich als schwierig heraus, etwas passendes zu finden. Also hatten wir alles gestoppt und einfach darauf vertraut, das ein Haus zu uns kommen würde. Und so war es dann auch passiert. Ich saß im Jeremia-Werk im Büro, eine Frau kam hinein und begann sich mit Erwin zu unterhalten, sie erzählte von einem Haus, das sie und ihr Mann gekauft hatten und das sie nicht wüssten, was sie jetzt mit dem alten Haus machen sollten, da wurde ich hellhörig. Ich fragte nach, wir kamen ins Gespräch und noch am selben Tag fuhren wir zu einer Besichtigung.
Die Monate, die folgten, waren geprägt von Vorfreude und Zweifeln gleichermaßen. Machten wir das richtige? War das der Ort, wo Gott uns haben wollte? Hatten wir uns richtig entschieden? Die Besitzer kamen uns so weit entgegen, dass wir selbst die Miete festlegen durften, manchmal schien es einfach surreal. Immer wieder fuhren wir zu „unserem neuen Haus“, beteten auf der Fahrt, träumten vom gemeinsamen Leben. Nur eines war sicher: Selbst wenn es nicht klappen würde, Gott hatte uns deutlich gezeigt, wozu er in der Lage war.
Wir kündigten unsere Wohnung, kauften ein Auto, setzten alles auf diese Karte, doch schlussendlich wurde aus der Sache nichts. Unsere Mitbewohner waren nach und nach aus dem Projekt ausgestiegen, die Bedingungen vonseiten der Vermieter hatten sich geändert, kurzum, es sollte nicht sein. Unser Traum blieb: Wir wollten in Gemeinschaft leben! Statt in ein großes Haus zogen wir, inzwischen zu dritt, aber erstmal in eine winzige Dachwohnung.
Immer wieder drehten sich unsere Gedanken um das Projekt „Gemeinschaft“, doch wie? Und wo? Mit wem? Hin und wieder finge wir an, im Internet nach Häusern zu suchen, mal waren wir Feuer und Flamme dafür, dann wieder schoben wir es weit von uns. Wir erwägten sogar, eine größere Wohnung nur für uns zu suchen, doch wir merkten, dass es einfach nicht das war, was wir wollten.
Gott hatte mal wieder eine Überraschung vorbereitet. Um es kurz zu machen: wir bekamen die Möglichkeit, ein Haus im Nachbarort zu mieten! Die Aufteilung war genial, es gab eine kleine Wohnung für uns als Familie, eine großzügige Gemeinschaftsküche und Wohnräume, fünf weitere Schlafzimmer im zweiten Stock. Genau das, was wir gesucht hatten! Allerdings war da die monatlichen Kosten von fast 3000€, dazu hatten wir eine hohe Kaution aufzubringen. Außerdem wussten wir noch immer nicht, wer mit uns einziehen würde. Ohne zu wissen, wie es gehen sollte, entschlossen wir uns, es zu wagen.
Es fühlte sich an, als würde ich auf dem Wasser laufen.
In dieser Zeit fühlte ich mich oft, als müsste ich auf dem Wasser laufen. Statt Euphorie fühlte ich vor allem die Last der Verantwortung, die wir damit eingehen würden. Doch Gott zeigte sich uns als der Versorger, der er schon immer war. Das Jeremia-Werk erklärte sich bereit, als Mieter aufzutreten und fehlende Miete bis Jahresende vorzustrecken. Es war und ist ein großes Privileg, um diese Rückendeckung zu wissen. Nicht nur finanziell, gerade in all den Fragen, die sich nicht in Zahlen und Fakten ausdrücken lassen spürten wir, dass Menschen hinter uns stehen, die nicht auf die natürlichen Umstände schauen, sondern nach dem Willen Gottes fragen. Es folgten Verhandlungen mit der Vermieterin und bis wir den Mietvertrag in den Händen hielten, gab es noch viele Momente in denen wir nicht wussten, was kommen würde.
Auf den Umzug hatten wir uns schon gefreut. Ich hatte mir vorgestellt, dass alle unsere Freunde da sein, wir gemütlich ein paar Möbel in die Zimmer tragen und gemeinsam im Garten grillen würden. Der erst Lockdown fiel pünktlich auf unseren Umzugstermin, auch waren die Renovierungen im Haus noch nicht abgeschlossen. Statt einem entspannten Umzug am Wochenende hieß es also: bis in die Nacht mit dem Hänger hin- und herfahren. Unsere Dachwohnung sollte natürlich pünktlich an den neuen Mieter übergeben werden, am besten gesaugt und gewischt.
So fanden wir uns also um 2:30 am Morgen vor der Haustüre unseres neuen Zuhauses wieder, und versuchten den Nachbar zu beruhigen, der von Lockdown und gemeinschaftlichem Wohnen nichts wissen wollte. Der zweite junge Mann war übrigens Daniel, der sogar schon Anfang Januar bei uns auf dem Sofa eingezogen war und nun auch im neuen Haus sein Zimmer beziehen wollte.
Wir sind also im wahrsten Sinn des Wortes in unseren Traum gerumpelt. Doch seitdem wird es einfach immer besser! Inzwischen leben wir als Familie mit fünf weiteren Erwachsenen zusammen. Außer Daniel (30), der aus München hergezogen war, sind da noch Cornelius (19), der Student, ebenfalls aus München. Deborah (28) kam Mitte April für sechs Wochen und ist bis jetzt geblieben. Regina (63) verließ nicht nur ihre Wohnung sondern auch ihren Job nach über 20 Jahren und wagte den Neuanfang. Zuletzt kam Nathalie (26) aus Norwegen, auch nur für drei Monate, im Moment ist sie auf Heimaturlaub, wir alle freuen uns schon darauf, wenn sie im Januar wiederkommt. Zur Zwischenmiete hatten wir Brian und Esther aus Israel bei uns, die zwar aus ihrer Heimat aus-, aber wegen der strengen Reisebeschränkungen während des Lockdowns nicht mehr einreisen konnten.
Die Vision:
Gottes Herrlichkeit wird durch unsere Beziehungen im Alltag sichtbar.
Bei all den Herausforderungen, die das gemeinsame Leben mit sich bringt, spüren wir immer wieder, wie wir getragen werden. Es gibt wohl besonders in Zeiten wie diesen nichts besseres, als eine Gemeinschaft mit Jesus im Zentrum. In den vergangenen Monaten haben wir so viele schöne Momente erlebt. Wir sind gemeinsam gewachsen und wir haben Konflikte ausgetragen. Wir essen, wir beten, wir lachen und wir weinen. Der Traum ist wahr geworden und es könnte schöner nicht sein!
Mit unserem Nachbar haben wir uns übrigens noch am selben Tag versöhnt. Die Flasche Wein, die ich als Entschuldigung vorbeibringen wollte, lehnte er ab mit dem Worten: „Die trinken wir dann gemeinsam!“
LUK 24,49
„Und siehe, ich sende die Verheißung meines Vaters auf euch. Ihr aber, bleibt in der Stadt, bis ihr bekleidet werdet mit Kraft aus der Höhe!“
APG 2,46
„Täglich verharrten sie einmütig im Tempel und brachen zu Hause das Brot, nahmen Speise mit Jubel und Schlichtheit des Herzens“
Die Apostel blieben zusammen im Obergemach und warteten dort auf den versprochenen Heiligen Geist. Ihre Gemeinschaft war intensiv, ehrlich und hingegeben an Gott. Diese Qualität von Einheit war die Voraussetzung dafür, dass die Kraft aus der Höhe auf diese Gruppe kommen konnte. Die gleiche Herrlichkeit, die die Apostel und ersten Christen erlebten, liegt auch heute für seine Kirche bereit.
Wir sind seine Kirche, sein Körper auf dieser Erde. Es ist ein lebendiger Organismus, heilig und von Gott auserwählt. Gott will, dass wir in dieser Gemeinschaft leben und sie kultivieren. Wenn wir diesen Plan verstehen und anfangen in unserem Alltag umzusetzen, wird Jesus in uns und sein Reich auf dieser Erde zunehmen.
Echte Gemeinschaft ist der Katalysator für die Prozesse, die nötig sind, damit wir unseren Platz in diesem Organismus einnehmen können. Es ist der Mut und der Wille, trotz unserer menschlichen Natur zusammen zu bleiben und uns einander in Liebe zu (er)tragen. Das, was wir für unser eigenes Wachstum brauchen, erleben wir mit denen, mit denen wir unseren Alltag in echter Gemeinschaft verbringen.
Wenn wir uns im Alltag auf der Basis von echter Gemeinschaft begegnen, können wir unseren Egoismus nicht unter einem scheinheiligen Mäntelchen verstecken. Diese Art und Weise des Zusammenlebens bringt Spannungen, Missverständnisse, unterschiedliche subjektive Wahrnehmungen, Kämpfe und Meinungsverschiedenheiten zutage. Die Offenbarung unserer Herzen ist schmerzhaft, aber wenn wir Gottes Beschneidung zulassen, wachsen wir daran. Es ist Gottes Gnade, wenn er uns zeigt, wo wir wirklich stehen. Deswegen nehmen wir seine Worte ernst, egal ob sie vom Größten oder vom Schwächsten unter uns ausgesprochen werden. Wir gehen offen mit unseren Schwächen und Fehlern um und ermutigen uns gegenseitig. Wir ermahnen uns in Liebe und suchen das Beste im Anderen.
Bei all den Herausforderungen, die das gemeinsame Leben mit sich bringt, spüren wir immer wieder, wie wir getragen werden. Es gibt wohl besonders in Zeiten wie diesen nichts besseres, als eine Gemeinschaft mit Jesus im Zentrum. In den vergangenen Monaten haben wir so viele schöne Momente erlebt. Wir sind gemeinsam gewachsen und wir haben Konflikte ausgetragen. Wir essen, wir beten, wir lachen und wir weinen. Der Traum ist wahr geworden und es könnte schöner nicht sein!
Mit unserem Nachbar haben wir uns übrigens noch am selben Tag versöhnt. Die Flasche Wein, die ich als Entschuldigung vorbeibringen wollte, lehnte er ab mit dem Worten: „Die trinken wir dann gemeinsam!“
Dieser Beitrag ist von:
Joe Kurowski
Joe ist der kreative Drahtzieher im Hintergrund. Er liebt neue Herausforderungen und stürzt sich immer wieder mit vollem Elan in neue Projekte.
„Ich träume davon, dass unsere Gemeinschaft ein kleines bisschen Himmel auf Erden wird: voller Freude, voller Kreativität, ungeschminkt ehrlich und grenzenlos liebend.“